29.10.2021 - Der Himmel brennt
Die neue Woche, notabene die letzte im Oktober, ist erst knapp sieben Stunden alt und lädt natürlich auch heute ein, in den frühen Morgenstunden ein paar entspannte Schritte an der herbstlich kühlen Luft zu spazieren oder zu laufen. Wie ich das Haus verlasse, atme ich nochmals eine Portion der vom Raclette am Vorabend geschwängerten Luft ein. So gerne ich das köstliche Raclette immer und immer wieder geniesse, so unangenehm überrascht der Käseduft am nächsten Morgen meine Atemwege. Auch deshalb zieht es mich wie von einem imaginären Gummiband gezogen magisch nach draussen. Das Raclette scheint nicht nur in der Nase nachhaltig in den Montag mitgereist zu sein, auch der Magen fühlt sich ein paar hundert Gramm schwerer an als sonst um diese Uhrzeit. Die ersten Laufschritte sind noch schwer und verkrampft, es fehlt das Öl im Getriebe und mit jedem Meter weiter in die Dunkelheit eintauchend nehme ich Fahrt auf und stetig führt der Weg etwas in die nahe Anhöhe.
Ohne bewusst etwas beizutragen schweift mein Blick sehr bald gegen Osten, wo sich die Sonne für ihren grossen Aufritt heute Montag vorbereitet. Sie kündigt sich mit besonders viel Farbe an, zuerst mit einem bunten violett-organen Steifen am Horizont. Je mehr Kraft die Sonne entwickelt, umso betonter wird der Himmel, immer mehr orange mischt sich ins Gemälde und ein paar Minuten später gibt es keinen Zweifel mehr, dass der Malermeister von nebenan noch einige Liter rot hat einfliessen lassen. Ja, ich bin mir sicher, der Himmel hat sich entzündet und brennt lichterloh. Meine zwei Beine kommen einstimmig zum Schluss, kurz zu streiken und innezuhalten, damit ich von diesem Naturphänomen einige Bilder schiessen kann, um später allen Morgenmuffel den Beweis zu erbringen, dass der Himmel wahrhaft in Flammen stand.
Normalerweise zeigen wir unsere Freude am Wetter bei blauem Himmel und wenn es sein darf, auch ohne Wolken. Ja, irgendwie ganz nett und schön, andererseits wenn der Wettergott tagein und tagaus ohne Kreativität blau verwendet, kann es hier oder da auch langweilig werden. Wo kämen wir hin, wenn gestern war wie vorgestern, heute ist wie gestern, morgen wie heute übermorgen wie morgen sein wird, jeden Tag nur blauer Himmel? Da erfreuen sich unsere Augen am Schauspiel wie jenem von heute Morgen bestimmt um Horizonte mehr. Der Himmel hat sich in der Nacht auf heute Gedanken gemacht, was er ändern könnte oder er hat einfach in der Kreativitätsbox etwas gefunden, wad er mal versuchen wollte. Und es ist ihm sichtlich gelungen, viele Augenpaare auf sich zu richten und diese zu beeindrucken. Der Himmel hat bewiesen, dass der Himmel entgegen allgemeiner Ansichten nicht blau ist, sondern auch rot, orange, violett und noch viele Farben mehr zum Besten geben mag.
In diesem Sinne dürfen auch wir Menschen uns immer und immer wieder Gedanken machen, wie wir mehr Farbe in unser Leben bringen können und auch mehr Zugang zur Kreativität aufbauen. Sind wir nicht alle etwas gefangen in unserem Alltag, sodass wir uns den Blick über den Tellerrand selbst verwehren? Die Alltagsstruktur ist indessen so starr geworden, dass wir einen erhöhten Puls bemerken, wenn etwas mal leicht anderes ist, als es angeblich zu sein hat. Wie viel gelassener, stressbefreiter und zufriedener würden wir unsere Tage geniessen, wenn wir mehr Zufallsfarben zulassen, spontane Gemälde erstellen und nicht jeden Farbeimer zuerst auf die Goldwaage stellen, bevor wir ihn öffnen und von der Farbe Gebrauch machen?
Wie viel bunte Farben bestimmen dein Leben?