25.06.2021 - Land, Stadt, Fluss
Wir sind eingeladen zur Erstkommunion des Göttibuben meiner Partnerin und dürfen einen sehr schönen Tag mit wunderbaren Menschen im Kanton Aargau geniessen. Der katholische Gottesdienst, quasi ein Fitnesscenter der besonderen Art mit zahllosen Positionswechseln zwischen Stehen und Sitzen ist vorbei, der Apéro inmitten von tausenden Blumen öffnet die Tür für gute Gespräche unter den geladenen Gästen und man setzt sich bald zu Tisch für das Mittagessen. Gerne beantworte ich nach dem Hauptgang die Frage nach einem Nachschlag mit "ja" und bezahle dies mit einem leicht überfüllten Magen nach dem zweiten Teller. Somit wäre ich bereit für ein Nickerchen irgendwo im Schatten, doch ich mache die Rechnung ohne die Kinder, welche voller Energie neben mir sitzen. Die Verdauung setzt ein und ich werde zum stillen Beobachter, wie die Kids "Stadt, Land, Fluss" spielen. Aus unserer Kindheit kennen wir alle dieses tolle Knobeln nach Begriffen, die mit einem per Zufall definierten Buchstaben beginnen müssen. Schon bald werde ich eingeladen, selber mitzutun. Dieser Aufruf hält auf angenehme Art und Weise vom Eindösen ab und ich fühle mich gleich wieder um Jahre jünger im Kreise der Kinder. Gerne nehme ich die Herausforderung an, auch wenn ich meine, mit meinem Erwachsenenwortschatz alle Kids in den Schatten stellen zu können. Die Kategorien heissen "Lied", "Land", "Job", "Sprache" und "Tier". Sobald der/die Erste in jedem Bereich etwas gefunden hat, ist die Runde vorbei und alle dürfen ihre Lösungen kundtun. Buchstaben wie z.B. das "B" stellt niemanden vor Probleme. "Bohemian Rhapsody", "Belgien", "Berater", "Bayrisch" und "Biber" sind meine Ergebnisse. So geht es Runde um Runde erfolgreich weiter, bis plötzlich das "X" an der Reihe ist. Na ja, sooo einfach ist es auch mit dem vermeintlich unerschöpflichen Wortschatz und Wissen eines Erwachsenen plötzlich nicht mehr. In meinem Kopf dreht sich alles, finde jedoch in keiner Kategorie eine passende Lösung. Komplett anders sieht es aus bei den jungen Mitspielern. Ausgestattet mit einer riesigen Portion Selbstbewusstsein, Kreativität und Einfallsreichtum bringen sie reihenweise X-Wörter aufs Papier, über welche ich teils lachen und auch staunen darf. Diskussionen über die wahre Existenz dieser Tiere oder eines Liedes mit dem Anfangsbuchstaben "X" ersticken schnell im Keim, denn ich erfahre, dass es dies oder das ganz sicher gäbe - Ende der Diskussion und eifrig werden die Punkte verteilt. Spätestens da gehe ich als Verlierer aus der Runde und gestehe ein, dass oftmals alles Wissen und alle Erfahrungen im Leben nichts zählen, wenn man andererseits einfach spontan sein darf.
Diese Kinder sind an diesem Nachmittag und noch heute ein grosses Vorbild für mich. Wenn es darum geht, gross zu denken und nicht gleich jede Option auf die Waagschale zu legen und abzuwägen, ob gut, schlecht, richtig, falsch, risikoreich, einfach, schwierig und welche einschränkenden Beurteilungen auch immer, dann nehme ich mir künftig vor, mich vermehrt an Kindern zu orientieren. Einfach mal etwas sagen und tun, etwas wagen uns riskieren, versuchen und experimentieren - das ist doch genau das, was das Leben lebenswert macht. Oder besteht der Sinn des Lebens darin, uns vor einer Entscheidung alle Argumente für oder gegen eine Option fein säuberlich aufzulisten, diese Daten über Tage und Wochen zu analysieren und am Ende zum Schluss zu kommen, dass aufgrund der unsicheren Faktenlage doch besser alles beim Alten bleiben soll?
Nehmen wir uns also die Kinder als unsere Vorbilder an unsere Seite, um wieder mehr Mut in unser Leben zu bringen und um die Angst im Keim ersticken zu lassen. Ich bin der Überzeugung, dass es immer, wenn wir auf unsere vergangenen Lebensjahre zurückblicken, nichts schlimmeres geben kann, als dass man es nicht zumindest einmal versucht hat.