25.03.2022 - Verbotene Wege und bäumige Hindernisse
Es ist ein herrlich sonniger Sonntag. Beim Aufstehen lese ich eine Aussentemperatur von 5°C ab. Dennoch begebe ich mich später in Shorts gekleidet mit dem öV auf den Weg ins schwyzerische Pfäffikon am Zürichsee, um meiner selbst auferlegten Challenge, endlich mal wieder einen Halbmarathon zu laufen, einen Schritt näher zu kommen. Insgeheim hege ich den Plan, es sogar zu 30km kommen zu lassen. Ich schnalle mir meinen Rucksack an, setze die Airpods auf und schalte den Podcaster ein, um von einer guter Diskussion getrieben loszulaufen. Die ersten 14km laufen nach Plan, gemütlich, flach und entspannend. Ich habe mich vor dem Lauf entschieden, stets den am See nächsten Weg zu wählen. Ich stehe plötzlich an einer Schranke mit einem klar ersichtlichen Schild "Privatgrundstück - Betreten verboten". Dahinter erkenne ich einen Steinbruch und grosse, kräftige Baumaschinen. Die vermeintliche Sackgasse zurückzulaufen und den offiziellen Wanderweg zu wählen, hätten mich weitere 5km "gekostet". Also was tun? Es ist Sonntag, die Gefahr, dass mich jemand hier an diesem kleinen Ende der Welt ertappen würde, erachtete ich als äusserst gering. Also rein in den Steinbruch. Der sehr sumpfige, graue Durchgang lässt meine Schuhe schnell im selben Grau erstrahlen und an beiden Beinen hängen plötzlich je 2 Kilo Schlamm oder mehr eine Mischung aus Zement und Schlacke. Ich streife den Schlammassel an den Raupen eines Baggers ab und gehe weiter meinen Weg. Ans Laufen ist nun auf den nächsten 2.5km nicht mehr zu denken. Ein ehemaliges Unwetter scheint hier mit voller Wucht hunderte von Bäumen entwurzelt und quer in den Weg gelegt zu haben. 30°C wärmer und viel tropischer, ich hätte mich wie in einem dichten Dschungel des Amazons gefunden. Auch wenn ich das Ende dieses Abweges nicht erkennen konnte, stolpere, klettere und krieche ich weiter. Irgendwann ist auch hier Licht am Ende des Dickichts. Zweimal muss ich gar den Rucksack abziehen, um es unter einem Baum hindurch zu schaffen. Für die knapp 10% der Gesamtstrecke benötige ich 25% der ganzen Zeit unterwegs und wohl die Hälfte der Gesamtenergie an diesem Nachmittag. Nach der kleinen Lauf-Odyssey bin ich froh, wieder einen normal ausgebauten Wanderweg unter den Füssen zu haben und entspannt dem ungefährlichen und mit Menschen gesäumten Linth-Kanal entlang zu laufen. Nach 22km erreiche ich zufrieden und mit einem grossen Lachen im Gesicht den Endpunkt am Bahnhof Schmerikon. Die kleinen Kratzer und Schürfungen an den Beinen nehme ich wohlwollend zur Kenntnis. Die im Hinterkopf angedachten zusätzlichen 10km bis nach Rapperswil lasse ich gerne bleiben, das Abenteuer bisher reicht für heute. Mit Zug und Bus erreiche ich wieder den Ort, wo ich um 10h in Shorts die Reise angetreten habe.
Was habe ich aus dieser Geschichte gelernt?
Wenn sich die täglichen Laufkilometer über Monate bei 10km einpendeln, ist sogar für ein ehemaliger Langstreckler ein Halbmarathon wieder eine ziemliche Herausforderung. Der Körper fackelt nicht lange und realisiert sehr schnell, wenn die Belastung abnimmt. Seine Ausdauerleistung wird rasch reduziert, wenn er nicht kontinuierlich gefordert und gefördert wird. Und hier kommt der mentale Aspekt ins Spiel. Dank dem Wissen aus der Vergangenheit, dass 22km gut machbar sind, fliessen von meinem Kopf ständig Signale zu den Muskeln, um diese bis ans Ziel aktiv zu halten. Und es gibt dennoch Punkte, wenn denen die mentale Power fehlt, um noch weiterzugehen. Irgendwann darf schliesslich auch genug sein.
Ein Verbotsschild zu missachten ist nicht mein Alltag, gewiss nicht. Doch ab und zu darf man sich ruhig zu diesem Vorgehen entscheiden, wenn man sich den Konsequenzen bewusst ist und in absoluter Eigenverantwortung handelt.
Der kürzeste Weg ist nicht gleichbedeutend mit dem einfachsten Weg und es gibt einen Grund für offiziell gekennzeichnete Wege. Andererseits sind es manchmal die Abkürzungen, welche uns bleiben und Geschichten schreiben. Und die offiziellen Wege, welche die meisten Menschen gehen, beinhalten nur selten bleibende Geschichten. Immer mal wieder auszubrechen, war schon immer mein Motto. Bleibe ich jedoch in meinem Käfig und vermeide das Ausbrechen aus der Normalität, bleiben auch die spannende Lebensgeschichten auf der Strecke.
Und zu guter Letzt: Manchmal gibt es Momente im Leben, in denen wir unseren Rucksack aus Erfahrungen, Erlebnissen und Glaubenssätzen ablegen oder zumindest entrümpeln müssen, um weiter voranzukommen. Andererseits blockiert er mit seinem Volumen und seiner Last uns an einem Weiterkommen und wir bleiben vor dem grossen querliegenden Baumstamm stehen.
Und zu guter Letzt zum 2.: Kratzer und Schürfungen am Körper zeigen, dass man etwas im Leben erlebt hat. Menschen, die zu ihrem nicht perfekten Körper mit Ecken und Kanten stehen und sich nicht schämen dafür, beeindrucken mich sehr.