25.02.2022 - Wasser 5°C - Die Gedanken sprengen Grenzen
Es ist ein sonniger Samstag im Februar. Ich befinde mich in Männedorf am schönen Zürichsee und nehme an einem tollen familiären 2-Tages-Retreat zum Thema "Out of your comfort zone" teil. Einige Wochen zuvor sage ich spontan für den Event zu. Was mich besonders anspricht, an beiden Tagen in den Zürichsee zu steigen. Insgeheim hoffe ich, dass die Wassertemperatur im Februar bereits auf sommerliche Werte gestiegen sein würde. Für jemanden wie mich, der das Wasser unter 20°C als kalt bezeichnet, ist mit der Anmeldung zum Event die Messlatte gleich sehr hoch, oder besser tief, gesteckt. Ab und zu brauche ich solche Herausforderungen und es ist noch Zeit bis Mitte Februar.
Nachmittags um 16 Uhr stehen wir am Strand und ziehen unsere wärmenden Kleider aus. Der kalte Boden unter unseren nackten Füssen gibt uns einen Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Minuten auf uns zukommt. Der kalte Wind aus dem hohen Norden wiegt zudem stärker als die Sonnenstrahlen. In der Gruppe ermuntern wir uns gegenseitig, um den ersten Schritt ins kalte Wasser zu wagen. 5°C zeigt das Thermometer. Auf was lasse ich mich da ein? Wem will ich was beweisen? Fragen über Fragen durchströmen in diesen zögerlichen Minuten meinen Kopf. Der Countdown beginnt, es geht los. Wie eine Entenfamilie bewegen wir uns näher ans Wasser, Schritt für Schritt. Der erste Fuss ist im Nass, es fühlt sich noch so an, als ob ich es überleben werde. Dann der zweite Fuss, das Leben geht weiter. Nur wenige Sekunden später ertönt eine innere Stimme in mir: "Es geht nicht mehr, es ist zu kalt, ich gehe wieder raus! Und überhaupt, was soll das Ganze?". Gleichzeitig stärkt mich die Gruppendynamik und wir alle stapfen weiter in den See hinaus. Das Wasser steht bis zu den Knie, die kritische Zone steht jetzt bevor. Ich sehe mich in einem Eiswürfel eingefroren und erstarre vor Kälte. Was wir zuvor gelernt haben, setzen wir jetzt um - bewusst und tief atmen und es geniessen. Ja genau, geniessen. Was im ersten Moment auch für mich ein Wiederspruch ist, funktioniert jedoch tatsächlich. Ich drehe meine Gedanken um 180° und ja, ich geniesse es, die Kälte an meinen Beinen zu spüren. Händehaltend im Kreis stehend zählen wir gemeinsam auf drei und schon sitzen wir bis zum Hals im Wasser. Ich geniesse es tatsächlich, zum allerersten Mal im 5°C kalten Wasser zu sitzen. Ich geniesse es, stolz zu sein, meine Komfortzone einmal mehr hinter mir gelassen zu haben und persönlich etwas gewachsen zu sein. Ich geniesse es, eine mentale Grenze überwunden zu haben. Und schlussendlich geniesse ich es nach 3 Minuten, wieder die wärmenden Kleider anzuziehen. Trotz der textilen Umhüllung beginnt jetzt das grosse Schlottern. Füsse und Hände sind jetzt gefühlt steif, klamm und gefühllos. Schleichend startet ein Geklapper meiner Zähne, ich zittere am ganzen Körper. Und dennoch geniesse ich den Moment. Ich habe einmal mehr etwas zum ersten Mal gemacht. Dieses Bewusstsein hilft mir, den Moment sehr intensiv auf allen Wahrnehmungskanälen aufzunehmen und abzuspeichern.
Die Power solcher bleibender Momente ist sehr gross und voller Energie, einerseits im Erleben selber und auch später, wenn man sich daran zurück erinnert. Wenige Minuten später bin ich beeindruckt, zu was wir Menschen fähig sind und wie unglaublich stark unsere Gedanken uns lenken. Hätte ich im Kaltwasser lediglich nur auf meinen Körper gehört, dann hätte ich es nie geschafft, bis zum Hals ins Wasser zu steigen. Meine Gedanken sind stärker und übermitteln dem Körper die nötigen Signale, das zu tun, was ich will.
Immer wieder gibt es Momente, in denen wir vor einer Herausforderung stehen. Und genau deshalb heisst das Leben "Leben" und nicht "Langweile". Wenn wir nicht das Verlangen haben, immer und immer wieder neue Erfahrungen in unserem Leben zu machen, dann reagieren wir mit einem Alarmsignal auf diese neuen Meilensteine. Unsere Gedanken schalten in diesen Fälle auf Angst, Hemmungen, Zögern und schlussendlich Ablehnung. Diese Gedanken senden ebenfalls Signale an unseren Körper und es folgt, was folgen muss. Wir ziehen uns zurück und wagen nicht einmal den allerersten Schritt. Damit verbauen wir uns so wunderbare und wertvolle Momente. Es sind Momente, auf die wir später gerne zurückgeschaut hätten. Es sind Momente, die nie wieder genauso sein werden wie hier uns jetzt. Es sind Momente, die mit keinem Geld zu kaufen sind. Es sind Momente, die uns zu dem Menschen machen, welcher wir heute sind.