15.10.2021 - Vermicelles mit Rahm
Liebst du es auch, dir einen trüben Herbsttag jeweils mit einem herzhaft feinen Vermicelles zu schmücken?
Kürzlich ist es wieder Zeit für ein Treffen mit Kollegen, mit denen mich eine gemeinsame Zeit des Arbeitens im fernen Hong Kong verbindet. 3-4 mal jährlich verabreden wir uns für einen tollen Abend, um uns geschichtlich in die tolle Zeit in Asien zurückzuerinnern, lustige Episoden auszutauschen und uns gegenseitig mit den aktuellsten Begebenheiten aus der Gegenwart upzudaten. Wir vereinbaren, uns in Zürich wiederzusehen, für den Apéro am Hauptbahnhof und zum Happen dann im Restaurant Zeughauskeller, welches normalerweise von ausländischen Touristen belagert wird, zur Zeit jedoch hauptsächlich lokale Gäste bewirtet. Wir sind an diesem kühlen Herbstabend ein glücklicher Teil der Kundschaft, wir lassen es uns bei Speis und Trank gutergehen, und die Geschichten gehen von Mund zu Ohr, kurzum es ist ein sehr kurzweiliger Abend. Nach einem reichhaltigen Essen und zwei, drei Schlücken des flüssigen Goldes sind wir satt, übersatt. Doch halt, auf der Herbstkarte steht doch was geschrieben von Vermicelles, nach Wunsch auch mit Rahm. Auf die Frage des Servicepersonals angesprochen, ob es noch ein Dessert sein darf, verneinen wir unisono aus dem ersten Impuls raus, doch das Bild des Vermicelles vor Augen lässt dem einen Kollegen keine Ruhe und schlussendlich keine andere Wahl, als doch eine Portion zu bestellen. Und was folgt? Genau, wir alle stimmen dem Bestellvorgang mit ein: 3 x Vermicelles mit und 2 x Vermicelles ohne Rahm. Die Portionen werden auf den Tisch gestellt, im Gleichklang läuft uns das Wasser im Mund zusammen und wir schieben Portiönchen um Portiönchen in unseren Mund. Ein Blick in die Runde zeigt sehr rasch auf, dass die zwei "ohne Rahm" - Kollegen den Anschluss verlieren und sie noch die Hälfte des Vermicelles vor sich haben, während die drei "mit Rahm" - Kollegen die Nachspeise bereits tiefenentspannt am Verdauen sind. Vermicelles ohne Rahm vom Mund in den Magen zu befördern scheint offensichtlich eine trockene und strenge Arbeit zu sein. Oder, wie uns bildlich und verbal offenbart wird, sogar ein Kampf. Die beiden Kollegen gewinnen den Kampf am Ende, deutlich gezeichnet in ihren Gesichtern und auch zufrieden. Die Portion Rahm mit den Extrakalorien lohnt sich auf alle Fälle, denn dadurch wird das Vermicelles ein Genuss und nicht zum Kampfgegner.
Ja, die Vermicelles-Geschichte steht für viele Begebenheiten in unserem Leben. Wir verzichten immer mal wieder auf Dinge, aus Gründen, die schleierhaft sind und die wir uns unbewusst einreden. Wir meiden das Täfelchen Schokolade nach dem Abendessen wegen den zu vielen Kalorien. Wir sagen Nein zu neuen, supertollen Schuhen wegen der zu grossen Zahl auf dem Preisschild. Wir geben den Überstunden im Büro Priorität, um den Chef nicht zu enttäuschen und sind andererseits nicht happy, dadurch einen privaten Termin abgesagt zu haben. Wir entscheiden uns gegen die Ferien an einem Ort, der uns zwar total inspiriert, die Nachbarn dort jedoch schlechte Erfahrungen gemacht haben. Unserem Job bleiben wir treu, auch wenn wir dafür absolut keine Motivation mehr aufbringen und sich am Sonntagabend bereits schlechte Gefühle einschleichen beim Gedanken an den nächsten Morgen.
Daher lass dich wieder mehr treiben von dem, was du wirklich willst und stell deine inneren limitierenden Stimmen mal auf stumm. Auch du hast es sicher schon mehrfach erlebt, dass wenn du deinem Bauchgefühl gefolgt bist, es im Nachhinein immer eine gute und wertvolle Entscheidung war. Nichts ist schlimmer, als irgendwann zu sagen, ach hätte ich doch nur. Wir alle haben ein Leben und dieses soll so gelebt und gestaltet werden, wie es für dich perfekt ist.