08.10.2021 - Mühelose mit Unterstützung
Am Bahnhof in Lausanne angekommen, nehmen mein Kollege und ich unsere gemieteten Velos in Empfang. Wie jedes Jahr unternehmen wir auch heuer unser Traditionsreisli, dieses Jahr verschlägt es uns deutlich hinter den Röstigraben an den Genfersee. Die nette Frau am Schalter gibt, wie sie offenkundig zugibt, zum ersten Mal Velos zur Miete raus und ohne Unterstützung schafft sie die administrative Hürde am PC. Sie stützt sich dabei auf handgeschriebene Notizen, Informationen also, die sie bei der Einarbeitung in diesen Job wohl mitbekommen hatte. Die wichtige Unterstützung hat sie demnach vor geraumer Zeit mal von jemandem bekommen, die oder der diesen Vermietprozess intus hat.
So sitzen wir auf unseren, ja ich gebe es zu, elektrisch unterstützten Velos, E-Bikes auf neudeutsch. Die vor uns liegende Strecke nach Montreux durch die hügelige mit Reben besetzte Landschaft im Weltkulturerbe des Laveaux dient als Grundlage unserer Entscheidung, ausnahmsweise auf die Unterstützung des Elektroantriebs zu setzen. Schon bald verlassen wir in Pully die Seestrasse und die Fahrt rauf zur Weinstrasse ist beeindruckend steil. In diesem Moment schalten wir im Mini-Cockpit unserer Velos die Unterstützung auf "high" und so pedalen wir die Steigung rauf ohne spürbare Arbeit unserer Beine. Ja, das Feeling ist grossartig, so bequem voranzukommen. Ausser dann, wenn es zur Abwechslung mal den Hügel runtergeht, dann drosselt das Gefährt die Geschwindigkeit bei 25 km/h ab. Um den Fahrtwind so richtig zu spüren hilft nur eins, Unterstützung raus und so geht's in höherem Tempo noch zügiger voran.
Über Jahre, also sehr lange schon, äussere ich mich sehr verhalten zum Thema E-Bikes. Ich will lange nicht einsehen, wieso fitte und gesunde Menschen ein solches Fahrzeug anschaffen sollen. Doch jetzt, einmal selber so richtig in den Genuss gekommen, ist meine Meinung revidiert und ich sehe nun die angenehme Seite der Unterstützung auf dem Velo, auch mit meinen jungen 48 Lebensjahren. Ja, ohne etwas selber einmal versucht und unternommen zu haben, eignen wir uns eine Meinung an, die schlicht und einfach nicht fundiert ist.
Wie oft mühen wir uns im Leben ab, nicht nur beim Radfahren, Probleme und Herausforderungen selber bewältigen zu wollen? Genau so oft ist es uns vielleicht peinlich, die Unterstützung anderer in Anspruch zu nehmen, in der Hoffnung, jederzeit selber Herr und Meister über die aktuelle Situation zu sein. Oder hindert uns eine zu hoch angesetzte Messlatte der Selbstüberschätzung daran, auf andere zuzugehen und nach Unterstützung zu fragen? Meistens kommen wir früher oder später zur Erkenntnis, dass wir scheitern, wenn wir nicht die Hilfe aus unserem Umfeld holen. Wir alle sind nicht damit bestückt, jede Fähigkeit in Vollkommenheit ausüben zu können. Daher ist es ratsam, auf jene Personen zurückzugreifen, die in einer bestimmten Sache mehr Wissen und Fähigkeiten haben als wir selber. Es kann daher wirklich Sinn machen, Arbeiten so zu delegieren, dass man sich selber auf das konzentrieren kann, worin man selber ein Meister ist.
Wenn es sich um Themen handelt, die mehr den Kopf und damit unsere Gedanken betreffen, kann externe Hilfe ebenfalls dienlich sein. Sehr oft drehen sich unsere Gedanken im Kreis, tagein, tagaus. Wir finden den Weg aus diesem Gedankenkarussell einfach nicht. Fragen und Impulse vom Aussen in solchen Situationen eröffnen in uns neue Ansichten, Perspektiven und Horizonte. Diese neuen Wege zu entdecken und auch zu gehen heisst, wieder mehr vom Leben zu bekommen und befreiter durch denn Tag gehen zu können.