06.05.2022 - Die Qual der Wahl im Gartenrestaurant
Die Sonne scheint, die Rapsfelder erstrahlen im schönsten gelb, wir ziehen in Wanderschuhen los. Eine kurze Wander-Rundtour soll es sein, welche uns auf eine kleine Anhöhe im Zürcher Oberland bringt. Das langsam verdunstende Nass des Regens vom Vortag steigt im Wald angenehm in unsere Nasen. Der Frühling ist endlich mit seiner vollen Strahlkraft da. Auf der Hochebene angekommen erkennen wir bereits das Restaurant, das uns einlädt, einen Kaffee zu trinken. Vom der Gartenterrasse aus geniessen wir den wunderbaren Blick auf die Berge im Süden und den Pfäffikersee im Vordergrund.
Wir sind die ersten Gäste zur Mittagszeit im Garten und können frei einen der rund zehn nicht reservierten Tischen auswählen. Hmm, Sonne oder Schatten? An der Hauswand oder nahe der Strasse, dafür mit besserer Sicht? Eckiger oder runder Tisch?
Schlussendlich bekommt Tisch Nr. 3 unseren Zuschlag, doch wer sitzt wo? Auch das klären wir rasch und wenige Augenblicke später serviert uns die nette Damen den leckeren Kaffee zusammen mit einem knusprigen hausgemachten Biskuit. Das Leben ist gut und wird zusehends spannender.
Kurz nach uns treffen weitere Gäste im Garten ein. Ein Grossteil davon offenbar mit einem leeren Magen, sie verlangen die Speisekarte. Doch bis sie ebenfalls einen Tisch ausgewählt haben, werden die genau gleichen Fragen gestellt, plus eine Zusatzfrage. Setzen wir uns in die Nähe oder eher etwas distanziert von den ersten zwei Gästen? Je mehr Tische von Gäste besetzt sind, umso schneller scheinen die Menschen eine Entscheidung getroffen zu haben, wo sie sitzen wollen.
Es wird davon ausgegangen, dass der Mensch pro Tag rund 20'000 Entscheidungen fällt. Der Grossteil dieser Entscheidungen fällen wir unbewusst, da sie über die letzten Jahre in Fleisch und Blut übergegangen sind. Ansonsten wären wir schlicht und einfach in den ersten 5 Minuten nach dem Aufstehen schon überfordert.
Wie wir Menschen ganz verschieden mit Entscheidungen umgehen, ist höchst spannend. Ob ich jetzt heute ein grünes oder ein blaues Hemd anziehe, eine Pizza oder einen Salat zum Mittagessen einnehme, sind Entscheidungen ohne grossen Konsequenzen für die Zukunft. Und dennoch scheinen viele Personen bereits bei solchen Themen anzustehen und verbuchen einen enormen mentalen Energieaufwand, um sich für A oder B zu entscheiden. Und womöglich wird dann die schlussendlich gefällte Entscheidung noch minutenlang hinterfragt.
Ein Entscheid ist auf der einen Seite stets ein Ja für Option A und ein Nein für Option B. Können diese Optionen etwas weitergehende Konsequenzen mit sich bringen, wie zum Beispiel "soll ich künden?" oder "soll ich bleiben?", dann ist es nachvollziehbar, wenn der Prozess mehr Zeit in Anspruch nimmt. Je mehr Zeit wir hingegen für die Abwägungen von Pro und Kontra aufwenden, umso mehr Argumente finden wir, die uns schlussendlich im Status Quo festsitzen lassen. Auf der rationalen Ebene überwiegen sehr schnell die Unsicherheiten, Bedenken und Ängste, welche mit einer Entscheidung einhergehen. Aus evolutionstechnischer Sicht ist dies völlig nachvollziehbar, der Mensch hasst quälende Fragen und neigt zur Sicherheit. Entsprechend viele Menschen kommen nicht in die Gänge, wenn es darum geht, eine mutige Entscheidung zu fällen. Irgendwann jedoch tritt mit grosser Sicherheit die Situation ein, dass man selber zu sich sagt: "Ohh, hätte doch nur!" und das grosse Bereuen nimmt seinen Lauf.
Mut heisst, etwas trotz Unsicherheit und Angst zu tun.
Und falls du immer noch eine Entscheidung auf deinem Rücken trägst, die unerträglich wird, dann können dir vielleicht folgende Fragen auf die Sprünge helfen:
Was gewinne ich, wenn mich für A entscheide?
Was verliere ich, wenn ich mich gegen B entscheide?
Was gewinne ich, wenn ich mit nicht für A entscheide?
Was verliere ich, wenn ich mich nicht gegen B entscheide?
Und das Ganze gerne auch noch A/B-umgekehrt gefragt :-)
Und vor allem, höre auf dein Bauchgefühl und auf dein Herz. Du hast keine besseren Ratgeber in dir selber, wenn es darum geht, dich selber in einer Entscheidung zu unterstützen.