03.06.2022 - Vom Schanzentisch zur Parkbusse

Der vergangene Sonntag ist vom trüben Wetter geprägt und ich befinde mich mit guten Freunden im Allgäu. Am Vorabend entscheiden wir uns, die Skiflugschanze in Oberstdorf zu besichtigen. Wir parkieren unsere Autos auf dem Parkplatz in unmittelbarer Nähe zur Schanze. Der Parkticket-Automat ist ausser Betrieb und wir lassen unsere Autos zurück, ohne für das Parkieren zu bezahlen. Je näher wir der imposanten Schanze kommen, umso beeindruckter sind wir vom Bauwerk. Der Blick vom Zuschauerraum nach oben lässt erahnen, mit welch grossem Selbstvertrauen die Skiflieger da ganz oben stehen müssen, bevor sie sich auf den Flug einlassen. Mit einer kleinen Standseilbahn und einem Aufzug gelangen wir nach ganz oben und stehen nach wenigen Minuten am Ort, wo die Sportler jeweils ebenfalls nach unten schauen und sicher einen leicht erhöhten Puls verspüren, wenn sie auf der Holzbank sitzen und bald mit hoher Geschwindigkeit die Schanze runterbrettern. Wir erfahren viel Wissenswertes über den Bau und die Geschichte der Schanze und ich bin total interessiert an allen Details. Der Blick von ganz oben in die Tiefe macht ein etwas mulmiges Gefühl und ein paar Freunde teilen mit, dass es ihnen gar nicht mehr möglich ist, nach unten zu blicken. Offenbar kann sich Höhenangst mit zunehmendem Alter entwickeln.

Wie ich gedankenversunken im Startbereich stehe, stelle ich mir vor, wie es ist, selber mal mit Skis an den Füssen in dieses Flug-Abenteuer zu springen. In der Ferne sehe meinen Trainer, wie er mir das Zeichen gibt, jetzt loszulassen. Ich erhebe mich vom Holzbalken, nehme Fahrt und Geschwindigkeit auf, ohne zu sehen, wo ich landen werde. Der Absprungtisch kommt sehr schnell näher und ich bereite mich auf den Absprung vor. Und Schwupps, ich fliege und sehe die vielen jubelnden Zuschauer unter mir. Der Flug dauert eine gefühlte Ewigkeit und ich justiere meine Fluglage in dieser Zeit permanent, um mich den Umgebungsbedingungen der sich bewegenden Luft bestmöglich anzupassen. Wow, das muss ein unglaubliches Gefühl sein, so wie ein Vogel zu fliegen, um nach rund 8 Sekunden Flug sanft zu landen.

Mit vielen sehr positiven Eindrücken begeben wir uns langsam zurück zu den Autos, um danach langsam den Heimweg auf uns zu nehmen. Wie wir unsere Autos wieder im Blickfeld haben, ist da etwas, das zuvor nicht da war. Ja, unter den Scheibenwischern ist ein Zettel an die Frontscheibe befestigt und dieses Papier lässt schon erahnen, dass wir besser den anderen Parkticket-Automat auf dem Parkfeld nebenan aufgesucht hätte. Damit hätten wir 3 x 20 Euros sparen können. Wir nehmen die Bussen mit Humor, denn wir sind uns unseres Vergehens bewusst. Inzwischen ist die Straftat auch schon beglichen.

Der Abstecher nach Oberstdorf hat für mich auch einen symbolischen Charakter. Wie für einen Skiflieger erachte ich als wichtig, dass wir Nicht-Skiflieger immer mal wieder hoch hinaufgehen, dann loslassen, um danach ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Ein klares Ziel vor Augen zu haben heisst nicht zwingend, dass wir es schon direkt sehen. Auf dem Weg oder auf dem Flug zum Ziel gilt es, sich stets den aktuellen Situationen anzupassen, um erfolgreich anzukommen. Und wenn das Ziel erreicht ist, soll man gerne zurückblicken auf den Absprungtisch, wo alles begonnen hat. Wichtig sehe ich den Punkt, sich selber wohlwollend zu loben für den Weg, den man auf sich genommen hat, um das zu erreichen, was einem so wichtig war.

Weiter nehme ich mit, dass wir Menschen ab und an ein bewusstes Verhalten an den Tag legen, von dem wir wissen, dass es weniger tolle Konsequenzen haben kann. Eine Parkbusse ist da ein kleiner Fisch. Doch oftmals entscheiden wir uns bewusst für oder gegen etwas, was uns in der Folge daran hindert, im Leben nicht voranzukommen. Immer wieder sind wir mit Situationen konfrontiert, die wir umschiffen, um nicht mit den Folgen umgehen zu müssen. Und in genau solchen Momenten verpassen wir eine grosse Chance, uns weiterzuentwickeln.

In welchem Bereich weisst du ganz genau, dass anders zu handeln besser oder sinnvoller wäre? Und was genau hindert dich in diesen Situationen daran, dein Heft in die Hand zu nehmen und schlicht und einfach das Gegenteil zu tun, sprich ins zielorientierte Handeln zu kommen?