02.07.2021 - Ein Montagabend in Bukarest
Am Ende des unvergesslichen Abends liegen sie sich in den Armen, schreien ihre Freude in den rumänischen Himmel und lassen eine ganze Schweizer Bevölkerung den Schlaf noch etwas hinauszögern. Das Wunder von Bukarest ist vollbracht, ein anfangs nie erwarteter Sieg gegen den Fussball-Weltmeister Frankreich ist eingefahren und die Schweizer Nationalmannschaft schreibt Sportgeschichte. Kaum geht die Schweiz 1-0 in Führung, beginnt das Zittern. Zur Pause liebäugeln die Eidgenossen mit einer möglichen Überraschung. Es folgen Minuten der Ernüchterung, ein verschossener Elfmeter, drei Gegentore in nur wenigen Minuten. Links oben auf dem Bildschirm steht 3-1, nicht 0-2. Dem Zuschauer, ob im Stadion oder zu Hause vor dem Fernseher, wird bei diesem Spielstand jegliche Hoffnung auf ein Weiterkommen genommen. Es stellt sich sogar die Frage, zu wie vielen Toren die Franzosen noch fähig sind. Es sind noch 10 Minuten zu spielen und wir reiben uns die Augen, von Müdigkeit schon lange keine Spur mehr. Unglaubliches geschieht, das Schweizer Anschlusstor fällt und noch unglaublicher, die Nati schafft in den allerletzten Minuten der regulären Spielzeit sogar den Ausgleich. Die Stimmbänder vom Kommentator und von den Fans aus allen Ecken der kleinen Schweiz werden arg strapaziert, von den Nerven mal ganz abgesehen. Eine Achterbahnfahrt der Emotionen von anfänglicher Freude über Kopfschütteln und Unverständnis und dann von Hoffnung zu purem Wahnsinn gelangt kurz zum Stillstand, bevor der Nervenkrieg in der Verlängerung weitergeht, 30 Minuten anhaltendes Hoffen und Bangen. Keine weiteren Tore fallen mehr, das Elfmeterschiessen muss das Spiel entscheiden. Nach dem verschossenen Elfer in der zweiten Halbzeit ist dies nicht die optimale Ausgangslage für ein Weiterkommen. Die Nerven aller liegen auf blank poliertem Eis. Schuss für Schuss wird es zusehends zur Fingernagelprobe, die Zeit schreitet voran, kein Mensch denkt an die verkürzte Nacht, geschweige denn an den nächsten Morgen. 9 Schüsse finden alle den Weg ins Tor, der letzte Franzose nimmt Anlauf und was dann folgt, wissen wir alle. Es wird für viele von uns ein Moment, an den wir uns womöglich für den Rest des Lebens erinnern werden.
Auch Tage nach dieser epischen Nacht in Bukarest überzieht mein Körper eine Hühnerhaut, wenn ich Bilder vom Spiel und den entscheidenden Situationen sehe.
Und wir alle dürfen dankbar sein für den Auftritt unserer Nationalmannschaft, denn sie hat uns perfekt gezeigt, wie es funktionieren kann, in schwierigen Zeiten nach vorne zu schauen und genau dann sich positiv einzustellen und zu motivieren. Keiner der 11 Spieler auf dem Platz hat wohl beim 3-1 Gedanken im Kopf wie "das war's, da geht nichts mehr" oder "ich kann nicht mehr" oder "es musste ja so kommen". Zudem ist es ein Glück, dass es keine Direktverbindung von den Gedanken der zermürbten Fans in die Köpfe der Spieler gibt. Nein im Gegenteil, schon vor dem Anpfiff schwört sich die Mannschaft, egal was passiere, "bis zum Schluss zu gehen". Nur mit einem klaren Fokus, einem unbändigen Siegeswillen sowie der Überzeugung eines jeden einzelnen der Mannschaft, es trotz allen widrigen Umständen noch zu schaffen, ist dieses Meisterwerk nun ein ehrenvoller Teil der Sportgeschichte.
Wir alle, du und ich, dürfen uns von diesem Mindset der Schweizer Spieler eine grosse Scheibe abschneiden und diese in unserem Kopf einpflanzen. In uns allen schlummert ein viel grösseres Potential, als dass wir zu oft und zu vorschnell annehmen. Vermehrt dürfen auch wir uns sagen, dass wir es schaffen werden, egal was passiert, anstatt der eigenen Ungläubigkeit wegen auf die Angst- und Ausredeschiene auszuweichen.
Also nehmen wir diesen Ansporn gerne mit auf unseren Weg. Diese mächtige menschliche Urkraft soll uns ebenfalls bis ganz am Schluss unseres Daseins begleiten. Wir werden überrascht sein, zu was wir alle noch fähig sein werden. In diesem Sinne: Hopp Schwiiz!