01.04.2022 - Schuldiges Vergnügen mit Reinhard Mey und Udo Jürgens
Es fliesst, ich bin im Flow. Seit 30 Minuten schreibe ich an der neuen Episode für diese Woche. Wie so oft beim Tippen der Buchstaben, Wörter und Sätze erklingen in meinen Ohren musikalische Klänge aus der persönlichen YouTube-Playlist. Diese erweitere ich immer dann, wenn ich auf neue Künstler oder neue Songs aufmerksam werde. Meine Songliste ist so lang und vielfältig, sodass es stets eine Überraschung ist, welcher Song als nächster aufgelegt wird. In meiner Episode befinde ich mich in der Geschichte im Tessin auf dem Monte Bré und genau in diesem Moment endet ein Lied von den Toten Hosen. Nach einer ganz kurzen Werbepause höre ich doppelt genau, denn die Stimme ist mir zu Beginn unbekannt und erst die Umschaltung auf den YouTube-Bildschirm verrät mir, dass es sich hier um Reinhard Mey handelt. Ich erinnere mich, dass ich diesen deutschen Liedermacher vor ein paar Wochen mit seinem "Best of" in meine Playliste genommen habe. Damals wurde ich in einem Podcast auf seinen Namen aufmerksam und gab ihm eine Chance, was nicht heisst, dass mir der Name unbekannt war. Nach ein paar ersten Takten Reinhard Mey in meinen Ohren falle ich aus dem Schreib-Flow in einen anderen Bewusstseinszustand. Schreiben ist nicht mehr möglich, ich fokussiere mich nur noch auf das, was meine Ohren wahrnehmen. Um noch mehr Klangfülle zu erleben, lege ich meine Kopfhörer ab und lausche der Musik aus den Lautsprechern des Notebooks. Lied für Lied höre ich nun Reinhard Mey, folge seinen unglaublichen tiefsinnigen Texten. Ich verfalle in eine lange Phase, in welcher ich unzählige Lieder teils nur ansatzweise anhöre oder dann von Anfang bis Schluss durchhöre. Und nach einer Weile schalte ich um auf Udo Jürgens. Der erste Titel auf der Playlist lautet "Das Leben bist du". Ich nehme den Liedtext Wort für Wort wahr, teilweise läuft es mir vor purer Schönheit kalt den Rücken runter. Und in diesem Moment wird mir bewusst, welche Kraft dieses Lied hat. Noch selten zuvor habe ich dem textlichen Inhalt eines Songs so viel Beachtung geschenkt. Und es geht weiter mit "Mein Ziel". Auch dieses Stück höre ich gleich mehrmals und kann nicht genug dieser Inspirationen bekommen.
Ich schaue auf die Uhr. Über zwei Stunden lang bin ich vor YouTube gesessen und mir Reinhard Mey und Udo Jürgens reingezogen. Unzählige berührende Liedtexte und ja, ganz ehrlich, auch dem einen oder anderen wässrigen Auge später denke ich: "WOW, wie genial war soeben dieser ungeplante Abstecher in eine andere Welt!"
Es kommt, wie es kommen muss. Die angefangene Story wandert in den Folder "angefangene Episoden" und es entstehen diese Zeilen, die du soeben am Lesen bist.
Es gibt den englischen Ausdruck "guilty pleasure", was ins Deutsch übersetzt folgendes bedeutet: "Schuldiges Vergnügen". Der Begriff wird gerne verwendet, wenn uns etwas peinlich ist und wir die Wertung anderer fürchten, wenn wir etwas als sinnlos und damit als Zeitverschwendung ansehen oder wenn wir einem Anspruch an uns selbst, damit nicht gerecht werden.
Wahrhaft, für einige Minuten habe ich den Eindruck, dass es mir wohl peinlich wäre, jemandem vom heutigen musikalischen Abstecher zu berichten. Peinlich deswegen, weil es doch Besseres zu tun gäbe an diesem Nachmittag. Peinlich deswegen, weil ich mich in derart selber verliere. Peinlich deswegen, weil zum Ausdruck kommt, dass ich nahe am Wasser gebaut bin.
Doch nein!! Ich stehe dazu und erachte genau solche Moment als Bereicherungen im Leben, die man nicht planen kann. Solche Momente dürfen uns öfters wie Federn vor die Füsse fallen, um sie dankbar aufzunehmen und zu geniessen. Da darf alles rund um uns herum einfach mal total egal sein.
Und es geht noch viel weiter über die Lieder dieser Welt hinaus. Wir dürfen uns in der umtriebigen und hektischen Welt mehr erlauben, auszubrechen, einfach zu sein und das zu tun, was das Herz sich wünscht. Und es gibt keinen einzigen Grund, uns dafür zu schämen, noch soll es uns peinlich sein.
Wenn du nächstens Zeit findest, höre gerne etwas tiefer und bewusster rein in die Lieder von Reinhard Mey und Udo Jürgens. Du wirst immer wieder erkennen, dass es in dir etwas schüttelt und dich die Lieder aufrütteln mögen. Ja, genau deshalb sind wir hier. Ich wünsche dir ganz schöne musikalische Momente und Zeit für dich.